DIE   RESI   HAT   DAS   BURGTHEATER   LINKS   LIEGEN   LASSEN   

 

 

 

Das Tandem bringt mich auch alleine dorthin, wo ich möchte, denke ich. Das Tandem kann auch von einer Person genutzt werden, rede ich mir ein. Das schöne Tandem mit Torpedo Gangschaltung. Wie gut es mir gleich gefallen hat, ich kann mich noch genau erinnern. Ich habe es ausgewählt, auch wenn ich es eigentlich gar nicht brauchte, und dachte über die langen Stunden zu zweit auf diesem Fahrrad nach. Wie schön wir gemeinsam dem Sonnenuntergang entgegenfahren werden, dabei im angebauten Picknickkorb all unsere Verpflegung, eine Decke, ganz eng zusammengerollt vorne an das Fahrrad geschnallt. Bestimmt hätten wir unterwegs bei einem Bäcker halt gemacht, weil du mit der Auswahl unserer Vorräte unzufrieden sein würdest, aber mich würde das nicht stören, weil es ein herrlicher Ausflug sein würde. Vermutlich würdest du auch dort viel zu lange an der Brötchentheke stehen, weil du dich auch dort nicht entscheiden können würdest, aber ich bin mir sicher du hättest nach einer Zeit die für dich richtige Wahl getroffen und wir würden unseren Ausflug fortsetzen. Wie das Tandem leise, aber wie eine Maschine!, unter uns arbeiten würde und wir beide gemeinsam diese Maschine betrieben. In Einklang mit uns, dem Tandem, unserer Welt. Wie wir uns bei engen Gassen schwer tun würden, aber bei den weiten Flächen gut voran kämen. Manchmal würden wir das Gleichgewicht verlieren, wenn wir zu langsam würden oder du oder ich uns zu weit in eine Richtung beugen - und ganz hin und wieder würde der, der hinten sitzt, einfach aufhören zu treten, weil er genau wissen konnte, dass der andere vor ihm weiter arbeiten würde - und dieser wiederum völlig blind gegenüber der Tatsache war, dass der hintere sich ausruhte. Vielleicht würde es sogar möglich sein, gemeinsam auf dem Tandem zu rauchen, wie schön ich mir das vorstelle. Und nach einer langen Tour auf dem schönen Fahrrad, dann wenn all unsere Essensrationen aufgebraucht waren, würden wir an einem See halt machen und uns dort ein Eis kaufen. Sympathisch, freundlich wäre ich gewesen, hätte das für dich übernommen, beschwingt von all der schönen Zeit, ich hätte dem Eisverkäufer mit Sicherheit Trinkgeld gegeben und bestimmt hätte ich ihn dabei angelächelt. Das weiß ich gewiss. Ich selbst hätte mir vermutlich kein Eis gekauft, dafür einen Kaffee, vielleicht ein Gebäck, hätte ich es gekauft, hätte ich es sehr genossen da, an der Strandpromenade. Du mit dem Kalten, ich mit dem Warmen, wir beide am See – wir waren schon immer Gegensätze. Auch wenn wir mal in den Regen gekommen wäre - ich denke, wir hätten auch dann Spaß gehabt, danach hätten wir darüber gelacht, haha, wie lustig war es nicht, als wir den ganzen Tag bis an die vielen weit entfernten Ziele fuhren und in dem Moment, in dem wir angekommen zu sein schienen, hätte es zu regnen begonnen und wir hätten uns gedacht, da ein Unterschlupf, haha wie wunderbar! Wir hätten uns die Zeit mit Rauchen vertrieben, hätten gute Gespräche dabei geführt, die Zeit wäre wie im Flug vergangen. Und wenn das Wetter wieder besser werden würde, wären wir weiter gefahren. Und die gesamte Geschichte hätte uns erheitert und nicht traurig gemacht, da bin ich mir sicher. Lange hätten wir von ihr gezehrt. Zuhause hätten wir beschlossen, dass wir eine Plane installieren sollten, damit das Rad auch ein Dach für uns beide sein konnte. Über die Zeit hätte ich das Tandem weiter verbessert, ich hatte fest vor, es zu lackieren, in einem feurigen, hellen Rot, so wie wir es uns immer ausgemalt hatten. Einen robusteren Fahrradständer, vielleicht in einer Kontrastfarbe, sollte es bekommen. Ein Wimpel war geplant. Ich wollte dem langen Fahrrad zusätzlich einiges an Stauraum einbauen, dass wir mehr mitnehmen konnten auf unsere Ausflüge. Auch deine Handschuhe und Mützen und deinen Fotoapparat und deine alberne Sattelabdeckung, dass deine Sitzfläche sich im Regen nicht mit Wasser vollsaugen und im Sommer nicht spröde werden würde, alles was du zu so einem Ausflug eben so mitnehmen wolltest. Das Tandem sah bereits jetzt schon wunderschön aus, ich hatte direkt am ersten Tag zwei Klingeln montiert, eine für dich, eine für mich, dass wir immer gemeinsam klingeln konnten, wenn ein Hindernis unsere Reise versperren sollte. Wir mochten den Gedanken. Meine Klingel klang etwas heller, deine etwas tiefer, uns gefiel die Vorstellung einer musikalischen Einlage beim Überholen. Leise striff meine Hand die Klingel, ohne sie zu betätigen. Es schien mir nicht richtig zu sein, ich ließ meine Hand sinken. Damals hattest du geschmunzelt, fandest es auch lustig. Das Tandem war so wunderschön, es schien als würde es in der Nachmittagssonne glitzern als ich einen Schritt von ihm wegtrat. Es war in schlecht einem hellen Blau lackiert, der Lack blätterte bereits an einigen Stellen ab, an anderen war das Tandem rostig, es hatte seine Zeit bereits getan. Aber würde es erstmal so aussehen, wie wir uns das gewünscht hatten, dann wäre es endlich fertig. Das lange Tandem mit den kleinen Reifen hatte nicht viel gekostet, aber ein neues konnten wir uns nicht leisten. DIE LEUTE HÄTTEN UNS BEWUNDERT. Es ist Ausdruck unserer Liebe zueinander. Sie würden denken, da, sieh' dir die Beiden dort drüben an, wie viel Freude sie in ihrem Leben haben. Sie würde denken, Klaus, kauf uns doch auch so ein Fahrrad, aber Hildegard würde es nicht laut sagen und Klaus würde ihr nie eins kaufen und deshalb würden sie nie so glücklich sein, wie ich es wäre. Sie würden schmunzeln und uns vielleicht sogar ab und an zuwinken. Ohne Frage würde ich zurück winken, wann wenn nicht dann? Kinder würden sich freuen uns zu sehen, ihre Eltern fragen, Mama was ist das, und ihre Eltern würden es ihnen erklären und wir würden fröhlich lachend davon fahren. Ich hatte mir bereits einen Hut gekauft, er war rot, in dem gleichen Feuerrot in dem das Tandem gefärbt werden sollte. Bei dem Gedanken wanderte ein müdes Lächeln über mein Gesicht. Der übergroße Hut, ich trug ihn gerade, verdeckte es zwar fast gänzlich, ich konnte es dennoch deutlich spüren. Bereits beim Kauf hatte ich befürchtet, dass der Hut bei einer rasanten Fahrradtour weggeweht werden könnte, durch seine schiere Größe hatte ich Angst, dass er wie ein Flugzeug abheben würde, doch du hast mir gut zu geredet, mich beruhigt, ich solle ihn doch kaufen, ich sähe doch so nett damit aus, dir selbst einen kaufen wolltest du aber nicht. Du fandest ihn an deinem Kopf albern. Warum eigentlich? Meinem Kopf passte er sehr gut. Traurig setzte ihn ab und legte ihn auf den Boden, den werd ich jetzt wohl nicht mehr brauchen, denke ich. Nein. Nein nein nein. Nein. Das Tandem kann auch einer Person alleine Spaß machen, denke ich und setze ihn wieder auf. Das Tandem kann mich überall hinbringen wo ich möchte, ich muss mit niemandem diskutieren, welches Reiseziel?, haben wir genug Proviant?, welches Eis möchtest du?, hast du Geld dabei? Eigentlich sogar viel besser so, denke ich, so kann ich endlich selbst entscheiden was ich mitnehme! Warum muss ich eigentlich immer Schokoriegel einpacken für dich? Ich hasse das. Ich hasse, dass du dich so ungesund ernährst. Immer musste ich mich nach dir richten. Mich hätte das sowieso irgendwann gestört. Du hättest mich irgendwann gestört. Ein Tandem für eine Person ist doch viel sinnvoller, denke ich. Was brauch ich dich, denke ich, ich bin so viel freier! Ist doch viel schöner so, ich hasse Eis, ich würde mich ohnehin jedes Mal langweilen bis du dein Eis ausgesucht hättest. Es liegt an dir, es ist überhaupt nicht das Eis! Eigentlich hattest du das Tandem gar nicht verdient. Ich reiße deine Klingel ab und steige auf, steige wieder ab und demontiere auch noch deinen Sattel. Steige wieder auf und fahre los. Der Wind zerrt an meinem Hut, mit einer Hand halte ich ihn fest, mit der anderen steuere ich das Fahrrad und werde immer schneller. Ist doch viel besser so, denke ich. Kann ich alles auch alleine, denke ich, brauche gar niemand. Das Tandem bringt mich auch alleine dorthin, wo ich möchte. Das Tandem kann auch von einer Person genutzt werden! Das Tandem ist wunderschön.

Die Resi hat das Burgtheater links liegen lassen, 2010
Shortstory, 1331 words