Vom Nichts in die Ewigkeit

Grundlinien zur Logik des Aufhörens und der Möglichkeit eines folgenlosen Seins

 

Nostalgien wie “Nichts ist mehr als wie es einmal war“ finden in unserer konzeptionellen Zeit keinen Platz. Nichts ist mehr, wie es einmal war; nicht, weil sich die Welt gewandelt hätte, sondern weil der Mensch aufgehört hat, sie (inne) zu halten. Die Erkenntnis des eigenen, ständigen Verrottens und das dahinter lauernde Nichts hat den Menschen so sehr erschreckt, dass er sich noch gleich vom Erleben abwandte und das Sein durch ein Konzept des ständigen Werdens ersetzte. Fortschritt ist der Gegenwarts Opfer. Der Mensch hat sich hochkultiviert und wurde folgerichtig (aber fatal) abhängig vom kulturellen Wissen das ihn formte; wie eine Pflanze, die ohne Licht nicht lebt, ist er symbiotisch ins Hasenloch seiner eigenen kognitiven Evolution gefallen. Der Mensch hat sich mit seinen Konzepten gepaart – mit Fortschritt, mit Struktur, mit Sinn. Wie der Vogel, dessen Schnabel sich an die schmale Öffnung einer einzigen Blüte angepasst hat die ihn füttert, hat sich auch der Mensch nach den Systemen geformt, die ihn ernähren – Systeme, die er selbst züchtete. Er hätte wissen müssen, dass sich die Blüte einmal um ihn schließen würde und doch entstand nicht unbemerkt die wechselseitige Fetischisierung: Der Mensch begehrt des Konzeptes Richtung. Das Konzept lebt von dessen, seiner Abhängigkeit. Am deutlichsten zeigt sich das in der Zeit. Nicht als Naturgesetz, sondern als kulturelles Artefakt, das sich in den Körper eingebrannt hat. Der Mensch rennt ihr hinterher; nicht, weil sie flieht, sondern weil er sie selbst losgeschickt hat. Und nun versucht er verzweifelt sie einzuholen. Es ist nicht die Zeit, die sich beschleunigt. Es ist der Mensch, der sich verausgabt, um mitzuhalten. Der Mensch aber ist kein Konzept und wird deshalb nie mithalten können. Was einst Schmerz war, wurde verdrängt. Verzweiflung wurde in Effizienz verwandelt; das Denken ersetzt durch Planung und das Fühlen durch Funktion. Das Dasein ist eine einzige Selbstverwertung. Selbst das Innehalten wurde marktfähig gemacht – als Regeneration für das Nächste. Haben Sie vergessen, dass Zeit lässt sich nicht besitzen, nicht sparen, nicht verlängern lässt? Sie ist kein Gut. Kein Tauschwert. Kein Versprechen. Sie verläuft – ohne Gegengeschäft.

 

Vom Nicht-Waschen der Wäsche

Alles sein beginnt nicht mit einer Tat, sondern mit ihrem Ausbleiben. Mag der Verweigerung auch immer etwas entgegentreten, sieist nur deshalb erfahrbar und denkbar, weil sie eben ein Tun voraussetzt und zu eben jenem immer in Beziehung steht. Das Nichtstun (nicht die Wäsche zu waschen) handelt nicht aus sich heraus; ihm geht stets etwas voraus; es ist eine neglektiere Motion des eigentlich getan haben wollens (Wäsche waschen). Es ist ein horizontaler, nie isolierter, Ablauf der mit dem Verbleib der Zeit verglichen werden kann, geradlinig, einflussbezogen. (Das) Nichts ist ein Substantiv (also etwas, das tatsächlich ist), obwohl es für das Nicht-Sein steht. Sprache moduliert es zu einem Begriff der Leere benennen kann ohne spezifisch zu werden, das Wort wird selbst zur Form – fassbar gemacht durch Grammatik, integriert in Syntax, behauptet als Substanz, obwohl in der Substanz gänzlich abstinent erscheinend.

     Die Wäsche wurde nicht gewaschen. Das mag praktische Gründe haben: Mangel an Zeit, Mangel an Notwendigkeit, Mangel an Inter- essensfokus. Und doch, die Motivation bleibt ein sekundäres Detail der Rechtfertigungsphilosophie: das Nicht-Waschen bleibt nur verständlich im Schatten des Waschen-Sollens. Denn das Waschen ist nicht nur funktionaler Vollzug, sondern symbolisches Kapital. Wer gewaschene Wäsche trägt, trägt sie wie ein Siegel – als stilles Versprechen der gesellschaftlichen Anschlussfähigkeit. Es ist ein Code der Akkumulation: Ansammlungen von Selbstdisziplin, von Ordnung, von Teilnahme an der permanenten Erneuerung.

     Es gibt Flexibilitäten, die schlicht unnötig erscheinen genauer zu definieren, dazu zählt beispielsweise die genau Anzahl an Haaren die die Grenze zur Glatze bilden würden / die exakte Zahl an Sandkörnern, ab der man von einer Wüste spricht, und ebenso verhält es sich auch mit dem Wäschewaschen selbst; welches, im letzten Jahrhundert, einen neuen Kultstatus erreicht hat. Waschen bekam eine etablierte Tätigkeit, und irgendwie einigte man sich darauf einander mitzuteilen wenn man eben die Wäsche nicht gewaschen hat. Diese Mitteilung ist keine bloße Anekdote – sie ist performativ. Sie stellt das beschädigte Symbol (den Fleck) in einen narrativen Zusammenhang, macht ihn erklärbar, zähmbar. Sie bewahrt die Kontinuität der Struktur – und das Subjekt in ihr. Doch was bedeutet es, dass der unausgeführte Akt – das Nicht-Waschen – mehr Erklärung verlangt als die Handlung selbst?

      In einem kulturellen Klima, das Tätigkeit als Zeichen von Würde, Zugehörigkeit und Normalität kodiert hat, ist das Ausbleiben einer Handlung kein neutrales Vorkommnis. Es gerät unter Verdacht. Der Fleck auf dem Hemd ist nicht nur Schmutz – er ist Aussage. Und die Erklärung, dass „die Wäsche gerade erst dreckig geworden ist“, fungiertnicht nur als Entschuldigung, sondern als performativer Beweis: „Ich bin noch Teil der Welt der Tätigen.“ „Ich bin keiner von denen, die aufhören.“ Frische – als kulturelles Ideal – unterscheidet sich dabei grundlegend von bloßer Fleckenfreiheit. Der Fleck ist Ausschluss, die Frische ist Distinktion. Zwischen beidem liegt die unsichtbare Linie, die einst bürgerliche Reinlichkeit von aristokratischer Eleganz unterschied: Die einen kämpften gegen den Dreck, die anderen waren niemals in seiner Nähe. So entlarvt sich das Wäschewaschen als symbolisches Minimum einer Teilnahme an der Ordnung des Handelns. Nicht zu waschen ist keine Banalität. Es ist ein Akt der Entkoppelung, eine stille Aufkündigung des Zwangs zur Zirkulation. Das Nicht waschen kreiert keine Lücke im Kalender, sondern fordert eine erklärungsbedürftige Handlung in einem System, das Tun als einzig zulässige Form von Existenz versteht, etwas nicht zu tun oder nicht getan zu haben wird zur eigentlichen Subversion. Denn der Fleck verweist nicht auf Schmutz allein, sondern auf Abwesenheit – auf verweigerte Teilhabe, auf entfallene Investition. Und damit auch: auf entgangene Reproduktion der Ordnung. Dass diese Ordnung durch Tätigkeitsbeweise aufrechterhalten wird – durch Rhythmus, Konsum, Sauberkeit – zeigt, wie tief das Politische im Banalen sedimentiert ist.